Ein gefährliches Urteil!

In den Entscheiden 9C_62/2017 und 2C_63/2017 hatte das Bundesgericht die Situation eines Steuerpflichtigen zu beurteilen, der zuerst Geld in Kapitalform aus einer Pensionskasse bezogen hatte und kurz darauf freiwillige Einkäufe in eine andere Pensionskasse tätigte. Das Ergebnis des Entscheids ist nachvollziehbar; gefährlich sind aber die dazu angestellten Erwägungen resp. die fehlenden bundesgerichtlichen Korrekturen an der Begründung des vorinstanzlichen Urteils.

Der Steuerpflichtige bezog im Juni 2008 zwei Auszahlungen aus einer Pensionskasse über gesamthaft rund CHF 910‘000. Schon im Dezember 2008 und nochmals im März 2009 tätigte er freiwillige Einkäufe über je knapp CHF 240‘000 in eine andere Pensionskasse. Die Einkäufe brachte er in den Jahren 2008 und 2009 gegen sein steuerbares Einkommen zum Abzug. Die zuständige Steuerverwaltung akzeptierte die Abzüge für die PK-Einkäufe nicht, was vom zuständigen Verwaltungsgericht gestützt wurde. Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Steuerpflichtigen im vereinfachten Verfahren ab.

Wie gesagt, ist das Ergebnis der Urteile nachvollziehbar. Wer innert so kurzer Zeit (6 resp. 9 Monate) nach einem Kapitalbezug wieder hohe Einkäufe in die Pensionskasse tätigt, dürfte es schwer haben, sich dem Missbrauchsvorwurf (Steuerumgehung) zu widersetzen. Dennoch muss nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass es Gründe für ein solches Vorgehen gibt. Darum wäre wünschenswert, dass das Bundesgericht mehr Angaben zum Sachverhalt offengelegt hätte. Zu bedenken ist nämlich, dass laut höchstrichterlicher Rechtsprechung bei (tatsächlich erfolgter) Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit ein Kapitalbezug auch zur Überbrückung des Einkommensausfalls bei Aufbau einer eigenen Unternehmung sowie zur privaten Schuldentilgung verwendet werden darf (BGer 2C_248/2015 und 2C_249/2015). Die Konstellation, dass zum Start der Unternehmung eine grössere Menge Kapital benötigt wird, die z.B. nach einem Jahr bereits teilweise wieder freigesetzt wird, sodass der Unternehmer seine Vorsorge in der 2. Säule wieder aufbauen kann, ist somit nicht von vornherein ausgeschlossen, und sie ist sicherlich nicht missbräuchlich. Immerhin ist aber zuzugestehen, dass 6 und 9 Monate selbst bei erfolgreichem Start einer Unternehmung eine sehr kurze Überbrückungszeit wären.

Vorliegend hat sich das Bundesgericht in nur gerade zwei kurzen Abschnitten (E. 3.2.2 und E. 3.3.4) materiell mit der Sache auseinandergesetzt. Zur unglücklichen Argumentation der Vorinstanz, die den Sachverhalt unter Art. 79b Abs. 3 BVG subsumierte, hielt es lediglich fest, es erübrige sich, darauf einzugehen, da der einkommenssteuerliche Abzug auch dann ausgeschlossen sei, wenn Einkäufe sich als rechtsmissbräuchlich erwiesen, was die Vorinstanz hier habe annehmen dürfen.

Was am vorliegenden Urteil stört, ist, dass das Bundesgericht der Vorinstanz nicht widerspricht, wo sie argumentiert, der Tatbestand von Art. 79b Abs. 3 BVG führe nicht nur zu einer 3-jährigen Kapitalbezugssperre nach einem PK-Einkauf, sondern gelte auch umgekehrt. Innerhalb von 3 Jahren nach einem Kapitalbezug gelte somit (quasi von Gesetzes wegen) ein PK-(Wieder)-Einkaufsverbot. Diese Argumentation ist nicht haltbar. In Art. 79b Abs. 3 BVG hat der Gesetzgeber einen Missbrauchs-Tatbestand kodifiziert und damit verobjektiviert. Die Verobjektivierung führt dazu, dass Einkäufe innert der 3-jährigen Sperrfrist stets geahndet werden, auch dort, wo die konkrete Situation fern von einem Missbrauch liegt. Mit anderen Worten befreit die Verobjektivierung die Steuerverwaltung vom Nachweis des Missbrauchs. In der Praxis sind zahlreiche Fälle bekannt, wo dieser Mechanismus zu unbilligen Besteuerungen geführt hat (vgl. Franziska Bur Bürgin/Dr. Katharina Luethy, Bestandesaufnahme nach dem LIFO-Entscheid, in: Jusletter 10. Januar 2011).

Gerade weil die Verobjektivierung weitreichende Folgen hat und – im Sinne einer Ausnahme zur allgemeinen Regel – die Steuerverwaltung von Nachweis des Missbrauchs befreit, müssen ihr klare Grenzen gesetzt sein. Diese Grenzen bestehen darin, dass die Befreiung vom Missbrauchsnachweis nur gerade für denjenigen Tatbestand gilt, den der Gesetzgeber im Gesetz umschrieben hat, vorliegend also für den Kapitalbezug nach PK-Einkauf. Eine Ausdehnung der Verobjektivierung durch freie Auslegung muss ausser Diskussion stehen:

  • Zuerst, weil Ausnahmen generell restriktiv zu handhaben sind;
  • zum zweiten, weil die Grenzen des ohnehin schon nicht klar fassbaren Missbrauchstatbestands sonst noch weiter verwischt würden, was mit dem Legalitätsprinzip unvereinbar wäre
  • zum dritten, weil vorstehend gezeigt wurde, dass der Wieder-Einkauf in die Pensionskasse nach einem Kapitalbezug bei gewissen Konstellationen sehr wohl ausserhalb eines Missbrauchs liegen und sogar sehr sinnvoll sein kann.

Die bundesgerichtlichen Erwägungen dürften darum so kurz ausgefallen sein, weil der Steuerpflichtige nicht anwaltlich vertreten war und es darum nicht schaffte, seine Kritik am vorinstanzlichen Urteil in das Korsett der vor Bundesgericht zulässigen Rügen zu fassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Steuerverwaltungen aus der knappen Begründung keine falschen Schlüsse ziehen. Denn weiterhin muss gelten:

  • Es sind nur diejenigen Missbrauchstatbestände verobjektiviert, die der Gesetzgeber klar umschrieben hat, und
  • wo tatsächlich ein Missbrauch vorliegt, müssen die Veranlagungs- und Rechtsmittelbehörden den Missbrauch beweisen und dürfen nicht bloss „annehmen“, wie das kritisierte Urteil zu suggerieren scheint.

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Ein gefährliches Urteil!

In den Entscheiden 9C_62/2017 und 2C_63/2017 hatte das Bundesgericht die Situation eines Steuerpflichtigen zu beurteilen, der zuerst Geld in Kapitalform aus einer Pensionskasse bezogen hatte und kurz darauf freiwillige Einkäufe in eine andere Pensionskasse tätigte. Das Ergebnis des Entscheids ist nachvollziehbar; gefährlich sind aber die dazu angestellten Erwägungen resp. die fehlenden bundesgerichtlichen Korrekturen an der Begründung des vorinstanzlichen Urteils.

Der Steuerpflichtige bezog im Juni 2008 zwei Auszahlungen aus einer Pensionskasse über gesamthaft rund CHF 910‘000. Schon im Dezember 2008 und nochmals im März 2009 tätigte er freiwillige Einkäufe über je knapp CHF 240‘000 in eine andere Pensionskasse. Die Einkäufe brachte er in den Jahren 2008 und 2009 gegen sein steuerbares Einkommen zum Abzug. Die zuständige Steuerverwaltung akzeptierte die Abzüge für die PK-Einkäufe nicht, was vom zuständigen Verwaltungsgericht gestützt wurde. Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Steuerpflichtigen im vereinfachten Verfahren ab.

Wie gesagt, ist das Ergebnis der Urteile nachvollziehbar. Wer innert so kurzer Zeit (6 resp. 9 Monate) nach einem Kapitalbezug wieder hohe Einkäufe in die Pensionskasse tätigt, dürfte es schwer haben, sich dem Missbrauchsvorwurf (Steuerumgehung) zu widersetzen. Dennoch muss nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass es Gründe für ein solches Vorgehen gibt. Darum wäre wünschenswert, dass das Bundesgericht mehr Angaben zum Sachverhalt offengelegt hätte. Zu bedenken ist nämlich, dass laut höchstrichterlicher Rechtsprechung bei (tatsächlich erfolgter) Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit ein Kapitalbezug auch zur Überbrückung des Einkommensausfalls bei Aufbau einer eigenen Unternehmung sowie zur privaten Schuldentilgung verwendet werden darf (BGer 2C_248/2015 und 2C_249/2015). Die Konstellation, dass zum Start der Unternehmung eine grössere Menge Kapital benötigt wird, die z.B. nach einem Jahr bereits teilweise wieder freigesetzt wird, sodass der Unternehmer seine Vorsorge in der 2. Säule wieder aufbauen kann, ist somit nicht von vornherein ausgeschlossen, und sie ist sicherlich nicht missbräuchlich. Immerhin ist aber zuzugestehen, dass 6 und 9 Monate selbst bei erfolgreichem Start einer Unternehmung eine sehr kurze Überbrückungszeit wären.

Vorliegend hat sich das Bundesgericht in nur gerade zwei kurzen Abschnitten (E. 3.2.2 und E. 3.3.4) materiell mit der Sache auseinandergesetzt. Zur unglücklichen Argumentation der Vorinstanz, die den Sachverhalt unter Art. 79b Abs. 3 BVG subsumierte, hielt es lediglich fest, es erübrige sich, darauf einzugehen, da der einkommenssteuerliche Abzug auch dann ausgeschlossen sei, wenn Einkäufe sich als rechtsmissbräuchlich erwiesen, was die Vorinstanz hier habe annehmen dürfen.

Was am vorliegenden Urteil stört, ist, dass das Bundesgericht der Vorinstanz nicht widerspricht, wo sie argumentiert, der Tatbestand von Art. 79b Abs. 3 BVG führe nicht nur zu einer 3-jährigen Kapitalbezugssperre nach einem PK-Einkauf, sondern gelte auch umgekehrt. Innerhalb von 3 Jahren nach einem Kapitalbezug gelte somit (quasi von Gesetzes wegen) ein PK-(Wieder)-Einkaufsverbot. Diese Argumentation ist nicht haltbar. In Art. 79b Abs. 3 BVG hat der Gesetzgeber einen Missbrauchs-Tatbestand kodifiziert und damit verobjektiviert. Die Verobjektivierung führt dazu, dass Einkäufe innert der 3-jährigen Sperrfrist stets geahndet werden, auch dort, wo die konkrete Situation fern von einem Missbrauch liegt. Mit anderen Worten befreit die Verobjektivierung die Steuerverwaltung vom Nachweis des Missbrauchs. In der Praxis sind zahlreiche Fälle bekannt, wo dieser Mechanismus zu unbilligen Besteuerungen geführt hat (vgl. Franziska Bur Bürgin/Dr. Katharina Luethy, Bestandesaufnahme nach dem LIFO-Entscheid, in: Jusletter 10. Januar 2011).

Gerade weil die Verobjektivierung weitreichende Folgen hat und – im Sinne einer Ausnahme zur allgemeinen Regel – die Steuerverwaltung von Nachweis des Missbrauchs befreit, müssen ihr klare Grenzen gesetzt sein. Diese Grenzen bestehen darin, dass die Befreiung vom Missbrauchsnachweis nur gerade für denjenigen Tatbestand gilt, den der Gesetzgeber im Gesetz umschrieben hat, vorliegend also für den Kapitalbezug nach PK-Einkauf. Eine Ausdehnung der Verobjektivierung durch freie Auslegung muss ausser Diskussion stehen:

  • Zuerst, weil Ausnahmen generell restriktiv zu handhaben sind;
  • zum zweiten, weil die Grenzen des ohnehin schon nicht klar fassbaren Missbrauchstatbestands sonst noch weiter verwischt würden, was mit dem Legalitätsprinzip unvereinbar wäre
  • zum dritten, weil vorstehend gezeigt wurde, dass der Wieder-Einkauf in die Pensionskasse nach einem Kapitalbezug bei gewissen Konstellationen sehr wohl ausserhalb eines Missbrauchs liegen und sogar sehr sinnvoll sein kann.

Die bundesgerichtlichen Erwägungen dürften darum so kurz ausgefallen sein, weil der Steuerpflichtige nicht anwaltlich vertreten war und es darum nicht schaffte, seine Kritik am vorinstanzlichen Urteil in das Korsett der vor Bundesgericht zulässigen Rügen zu fassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Steuerverwaltungen aus der knappen Begründung keine falschen Schlüsse ziehen. Denn weiterhin muss gelten:

  • Es sind nur diejenigen Missbrauchstatbestände verobjektiviert, die der Gesetzgeber klar umschrieben hat, und
  • wo tatsächlich ein Missbrauch vorliegt, müssen die Veranlagungs- und Rechtsmittelbehörden den Missbrauch beweisen und dürfen nicht bloss „annehmen“, wie das kritisierte Urteil zu suggerieren scheint.